Tillandsien - Anpassungskünstler im Pflanzenreich

Die Tillandsien gehoeren zur Familie der Bromeliaceen. Mit ihren minimalen Anforderungen an die Feuchtigkeit stehen sie den Sukkulenten oftmals kaum nach. Die überwiegende Anzahl der Tillandsien nimmt die für ihre Lebensprozesse notwendigen Stoffe (Wasser und Mineralien) durch speziell dafür entwickelte Schuppen unmittelbar aus der Luft auf.

Epiphytisch wachsende Bromelien am Standort (T. juncea im Vordergrund und Guzmania monostachya)

Tillandsien sind vom südlichen Nordamerika bis nach Argentinien verbreitet. An einigen Standorten sind sie in unmittelbarer Nachbarschaft von Orchideen und sogar von Kakteen zu finden. Auf einem Standortfoto von T. fasciculata, das ich 1985 auf Kuba gemacht habe, ist auch Ritterocereus hystrix zu erkennen. Wenige Meter davon habe ich außerdem die epiphytische Orchidee Cattleyopsis lindenii gefunden.

Tillandsien sind bei vielen Pflanzenfreunden, speziell aber bei Kakteen- und Orchideenliebhabern gleichermaßen beliebt. Sie werden heute in fast jedem Blumengeschäft, oft auch in Baumärkten angeboten. Ihre Anziehungskraft hängt vor allen damit zusammen, daß sie

  • durch ihre bizarre Erscheinung und teilweise auch ihre attraktiven Blüten und Blütenstände außergewöhnlich und exotisch aussehen
  • meistens sehr geringe Pflegeansprüche stellen, selbst im Wohnzimmer bei ausreichendem Licht und normaler Luftfeuchtigkeit auskommen und die meisten von Juni bis September im Garten oder auf dem Balkon nach Anpassung in voller Sonne kultiviert werden können, was zusätzlich ihre Blühwilligkeit sehr positiv beeinflußt.

Grüne Blüten an rotgelb gefärbten Blütenstand (T. plumosa)

Man sollte sich allerdings bewußt machen, daß Tillandsien an ihren natürlichen Standorten in der Regel bei höherer Luftfeuchtigkeit, ganzjährig bei viel Licht und oft recht hohen Temperaturen wachsen. Das schließt nicht aus, daß einige Arten in höheren Lagen der Gebirge Südamerikas in den Nächten auch einige Minusgrade aushalten müssen. Daran kann man ihre Härte und Anpassungsfähigkeit sehr gut erkennen. Durch Variation dieser Faktoren kann das Wachstum der Tillandsien sichtbar beeinflußt, beschleunigt oder verlangsamt werden. Wichtig ist wie bei allen Pflanzen, daß die Wachstumsfaktoren aufeinander abgestimmt sind.

Praktisch bedeutet dies für die Tillandsienpflege in Mitteleuropa, daß wir im Winter bei wenig Licht und relativ geringen Temperaturen mit der Feuchtigkeit sehr vorsichtig sein müssen, um Schäden an den Pflanzen, zum Beispiel Fäulnis oder Veralgung zu verhindern. Viele Tillandsien sind recht klein. Daraus folgt, daß von den rund 500 Arten eine größere Anzahl bei ausreichendem Licht am Wohn-, Schlafzimmer- oder Küchenfenster untergebracht werden kann. Hier ist Raum für eine Sammelleidenschaft, mit der man bei geschicktem Arrangement ästhetisch anspruchsvolle Bilder erreicht, die das Bedürfnis vieler Menschen nach etwas "Grün" in den eigenen vier Wänden auf höherem Niveau befriedigen kann.

Tillandsien sind allerdings meist grau. Die wenigen grünen Arten mit ihren Ansprüchen an ein kühl-feuchtes Klima passen überwiegend nicht so gut in den Wohnbereich oder sind besser in einer Vitrine zu pflegen. Tillandsien wachsen in der Natur überwiegend auf Bäumen bzw. auf Felsen, verschiedene Arten aber durchaus auch terrestrisch. Die meisten Tillandsien können in der Kultur ohne jegliches Substrat auf blankes Holz gebunden werden. Als Grundlage eignen sich im Grunde alle Gehölze. Allerdings sollte man beachten, daß unterschiedliche Gehölzarten unterschiedlich schnell verrotten. Durch schnell verrottende Unterlagen organisiert man sich also Mehrarbeit, gleichzeitig wird durch das notwendige Neuaufbinden der Pflanzenwuchs gestört. Besonders günstig sind alte Rebstöcke, Korkeiche sowie Wurzelteile, die allesamt eine lange Haltbarkeit mit dekorativem Aussehen verbinden.

T. fasciculata (Jamaika)

Beim Aufbinden der kühl-feuchten Trichtertillandsien und einiger anderer Arten, wie z.B. T. cyanea und T. lindenii, verwendet man etwas grobes Sumpfmoos. Diese Tillandsien bilden meist reichlich Wurzeln. Einige der grau-weißen Tillandsien bilden nur wenig oder gar keine Wurzeln. In jedem Fall dienen die Wurzeln lediglich zum Festhalten, nicht zur Nahrungsaufnahme. Bis auf die großen und schweren Trichtertillandsien, die sich nur mit stabilem Draht oder Perlonschnur sicher an der Unterlage befestigen lassen, verwende ich zum Aufbinden in etwa 2 cm breite Streifen geschnittene alte Damen-Strumpfhosen. Diese Bänder sind sehr elastisch, relativ weich (also wenig Verletzungsgefahr für Pflanzen und Pfleger) und verrottungssicher. Es ist sicher auch die wirtschaftlichste Lösung, da alte Strumpfhosen unschwer aufzutreiben sind.

Ich kultiviere gegenwärtig ca. 200 Tillandsienarten in einem Kleingewächshaus. Die Temperaturen liegen im Winter tw. unter 10 Grad Celsius. Von Mai/Juni bis September/Oktober werden viele Arten bei voller Sonne im Garten gepflegt, wobei sich die Pflege bei fehlendem Regen auf eine gelegentliche Dusche mit gesammeltem Regenwasser beschränkt.

Tillandsienkultur im Garten

Die meisten Tillandsien können auch ganzjährig im Gewächshaus und auch bei höheren Temperaturen sowie höherer Luftfeuchtigkeit gehalten werden. Noch vor einigen Jahren wurden meine Tillandsien mit Phalaenopsis-Orchideen zusammen im Warmhaus gepflegt. Selbst die extrem atmosphärischen grauen und weißen Tillandsien scheinen sich bei hoher Luftfeuchtigkeit (etwa zwischen 70 bis 90 Prozent) besonders wohl zu fühlen.

Allerdings sollte man sich vor Übertreibungen hüten. Einige Tillandsien neigen bei feucht warmen Klima, insbesondere wenn noch häufig gespritzt oder genebelt wird, schnell zum Veralgen. Das beeinträchtigt zumindest die Schönheit der Pflanzen, kann aber bei starker Veralgung auch ihre Existenz bedrohen. Durch Düngen wird die Veralgung ebenfalls gefördert. Entgegen anders lautenden Empfehlungen dünge ich meine Tillandsien nicht mehr und rate Liebhabern generell davon ab.

Stark beschuppte Tillandsie mit beginnender Veralgung

Zu den von mir gepflegten Arten mit besonders großer Veralgungsgefahr bei feucht warmen Klima zählen vor allem T. paleacea, T. myosura, T. ixioides, T. diaguitensis, T. plumosa, T. albida, T. chiapensis und T. caput-medusae.

Bei ohnehin feucht warmem Klima sollte man diese Tillandsien am besten bei der Pflege vergessen. Zumindest müssen sie durch Wärme und Luftbewegung nach dem Spritzen schnell wieder abtrocknen können.

Veralgte Pflanzen bekommt man in der Regel schnell wieder weiß, wenn sie im Sommer in den Garten oder auf den Balkon gebracht und bei möglichst voller Sonne kultiviert werden. Die unter den Algen bereits erstickten Pflanzenteile lassen sich natürlich nicht mehr regenerieren. Deshalb ist es besser, wenn an den Pflanzen Algenwachstum gar nicht erst aufkommt.

Die grauen und weißen, mehr oder weniger beschuppten Tillandsien werden selten getaucht, meist nur ein- bis zweimal täglich gespritzt. Das gilt aber nur für die warme Jahreszeit. Im Winter reicht bei Kultur unter 15 Grad C einmal wöchentliches Spritzen bei den meisten Arten vollkommen aus. Doch je hoeher die Temperatur oder auch die Heizwaerme im Kulturraum, desto mehr muss auch im Winter gespritzt bzw. getaucht werden.

Trichtertillandsien wie T. grebneri, T. carlsoniae, T. fasciculata, T. lindenii und T. lampropoda , die im Vergleich zu denen ohne Trichter oft weniger beschuppt sind, werden bei mir ganzjährig einmal in der Woche getaucht und mit den grauen Tillandsien auch gespritzt. Bei Pflege unter 18 Grad Celsius dürfte das aber schon zuviel sein, vor allem für T. carlsoniae und andere etwas empfindlichere Arten.

Eine größere Feuchtigkeit lieben auch mehrere Tillandsien, die keine Trichter ausbilden. Dazu zählen u.a. die bekannte T. butzii, aber auch T. filifolia, T. remota und T. festucoides.

Für viele Tillandsien typische Röhrenblüte (hier: T. chiapensis)

Unter den Tillandsien mit den geringsten Pflegeansprüchen befinden sich mehrere, die leicht und schön blühen. Sie sind damit ideale Anfängerpflanzen. Dazu gehören nach meinen Erfahrungen insbesondere T. stricta, T. schiedeana, T. ionantha, T. tenuifolia, T. purpurea, T. bergeri, T. crocata (Duft!), T. gillisii, T. mallemontii (Duft!), T. albertiana und die Rarität T. cacticula. Manche Blütenschönheit erkennt man freilich erst unter dem Vergrößerungsglas, und oft ist sie viel zu schnell vorüber.

Aber dennoch, wer sich den Tillandsien einmal zugewendet hat, wird schwerlich wieder von ihnen loskommen.

Literaturhinweise:

  • W. Rauh: Bromelien, Ulmer 1990 (158,-DM)
  • H. Shimizu, H. Takizawa, New Tillandsia Handbook, Japan Cactus Planning Co. Press.(ca. 50 US $)
  • U. Baensch: Blühende Bromelien, Tropic Beauty Publishers 1994 (198,-DM)
  • J. Röth: Tillandsien, Blüten der Lüfte, Neumann 1991 (58,-DM)
  • E. Groß: Schöne Tillandsien, Ulmer 1992 (22,-DM)
  • W. Richter: Zimmerpflanzen von heute und morgen: Bromeliaceen, Leipzig 1978